(1) Die Polizei kann ohne Wissen der betroffenen Person die Telekommunikation
einer Person überwachen und aufzeichnen,
1. die nach den
§ 4 oder
§ 5 verantwortlich ist, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes
oder eines Landes oder für Leib oder Leben einer Person geboten ist,
2. deren individuelles Verhalten die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet,
dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine in
§ 129a Absatz 1
und 2 des Strafgesetzbuchs bezeichnete Straftat begehen wird, und die
Voraussetzungen des
§ 8 Absatz 5 Nummer 1, 2 oder 3 vorliegen,
3. bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie für eine
Person nach Nummer 1 bestimmte oder von dieser herrührende Mitteilungen entgegennimmt oder weitergibt, oder
4. bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person
nach Nummer 1 deren Telekommunikationsanschluss oder Endgerät benutzen wird
und die Abwehr der Gefahr oder Verhütung der Straftaten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert
wäre. Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar betroffen werden.
Der Absatz 2 fordert laut der Landesbeauftragten für Datenschutz, dass die Quellen-TKÜ sich ausschließlich auf Kommunikationsvorgänge beschränken muss, da es sich sonst um eine eingriffsintensivere Online-Durchsuchung handeln würde, die an noch engeren Verhältnismäßigkeitskriterien zu messen wäre. Jedoch halten Experten eine solche Beschränkung für technisch kaum möglich, so die Datenschutzbeauftragte.
(2) Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation darf ohne Wissen
der betroffenen Person in der Weise erfolgen, dass mit technischen Mitteln in von der betroffenen Person genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn
1. durch technische Maßnahmen sichergestellt ist, dass ausschließlich laufende Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet wird und
2. der Eingriff in das informationstechnische System notwendig ist, um die
Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation insbesondere auch in unverschlüsselter Form zu ermöglichen.
(3) Bei Maßnahmen nach Absatz 2 ist sicherzustellen, dass
1. an dem informationstechnischen System nur Veränderungen vorgenommen werden, die für die Datenerhebung unerlässlich sind und
2. die vorgenommenen Veränderungen bei Beendigung der Maßnahme, soweit technisch möglich, automatisiert rückgängig gemacht werden.
Das eingesetzte Mittel ist gegen unbefugte Nutzung zu schützen. Kopierte Daten sind gegen Veränderung, unbefugte Löschung und unbefugte Kenntnisnahme
zu schützen.
(4) Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 dürfen nur auf Antrag der Behördenleitung oder deren Vertretung durch
das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Polizeibehörde ihren Sitz hat, angeordnet
werden. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des
Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend.
(5) Im Antrag sind anzugeben:
1. die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, soweit möglich, mit
Name und Anschrift,
2. die Rufnummer oder eine andere Kennung des zu überwachenden Anschlusses oder des Endgeräts, sofern sich nicht aus bestimmten Tatsachen
ergibt, dass diese zugleich einem anderen Endgerät zugeordnet ist,
3. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme,
4. im Falle des Absatzes 2 auch eine möglichst genaue Bezeichnung des informationstechnischen Systems, in das zur Datenerhebung eingegriffen
werden soll,
5. der Sachverhalt und
6. eine Begründung.
(6) Die Anordnung des Gerichts ergeht schriftlich. In ihr sind anzugeben:
1. eine Kennung des Kommunikationsanschlusses oder des Endgeräts, bei
dem die Datenerhebung durchgeführt wird,
2. im Falle des Absatzes 2 zusätzlich eine möglichst genaue Bezeichnung
des informationstechnischen Systems, in das zur Datenerhebung eingegriffen werden soll.
Im Übrigen gilt § 18 Absatz 2 Satz 3 mit Ausnahme der Bezeichnung der betroffenen Wohnung entsprechend. Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als drei weitere Monate ist zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung unter Berücksichtigung der
gewonnenen Erkenntnisse fortbestehen.
Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, sind die aufgrund
der Anordnung ergriffenen Maßnahmen unverzüglich zu beenden.
§ 18 Absatz 2
Satz 5 bis 9 gilt entsprechend.
Bei diesem Absatz 7 befürchtet die Landesbeuaftragte für Datenschutz, dass dieser sogar auch
die Pflicht für Diensteanbieter enthalten solle, den Polizeibehörden bestehende Sicherheitslücken auch proaktiv mitzuteilen und diese nicht zuschließen oder Sicherheitslücken gar erst zu schaffen. Dieses stellt nach Meinung der Landesbeauftragten für Datenschutz eine besondere Qualität der Gefährdung der IT-Sicherheit dar, deren Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die damit einhergehende massenhafte Gefährdung informationstechnischer Systeme unbeteiligter Personen
durch Schaffung oder Offenhaltung von Sicherheitslücken höchst bedenklich erscheint.
(7) Aufgrund der Anordnung hat jeder, der Telekommunikationsdienste erbringt
oder daran mitwirkt (Diensteanbieter), der Polizei die Maßnahmen nach Absatz 1 zu
ermöglichen und die erforderlichen Auskünfte unverzüglich zu erteilen. Ob und in
welchem Umfang hierfür Vorkehrungen zu treffen sind, bestimmt sich nach dem
Telekommunikationsgesetz und der Verordnung über die technische und organisatorische Umsetzung von Maßnahmen
zur Überwachung der Telekommunikation. Für die Entschädigung der Diensteanbieter ist § 23 des Justizvergütungs-
und -entschädigungsgesetzes entsprechend anzuwenden.
(8) Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass durch eine Maßnahme nach den Absätzen 1 und 2 allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden, ist
die Maßnahme unzulässig. Soweit im Rahmen von Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 neben einer automatischen Aufzeichnung eineunmittelbare Kenntnisnahme erfolgt, ist die Maßnahme unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwachung tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben,
dass Inhalte, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind,
erfasst werden. Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung,
die durch eine Maßnahme nach den Absätzen 1 und 2 erlangt worden sind, dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsachen der Erfassung der
Daten und der Löschung sind zu dokumentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie ist sechs
Monate nach der Unterrichtung nach Absatz 9 oder sechs Monate nach Erteilung
der gerichtlichen Zustimmung über das endgültige Absehen von der Benachrichtigung zu löschen. Ist die Datenschutzkontrolle noch nicht beendet, ist die Dokumentation bis zu ihrem Abschluss aufzubewahren. Im Übrigen gilt
§ 18 Absatz
4 Satz 2 bis 7 entsprechend.
(9)
§ 17 Absatz 5 und 6 gilt entsprechend.
In § 17 Absatz 5 und 6 ist eine Endlosschleife eingebaut, die es den Polizeibehörden ermöglicht von der Benachrichtigung der Betroffenen abzusehen. Allerdings wurde dieser Absatz mit der Gesetzesänderung
Drucksache 17/2576 entfernt, wodurch hier jegliche Benachrichtigung des Betroffenen wegfällt. In der Stellungnahme von ver.di wird deswegen kritisiert, dass der Wegfall dieser Unterrichtungspflicht im Zusammenhang mit den neuen Rechten zur Überwachung der Telekommunikation in § 20 c und dem neu in § 8 Abs. 4 und 5 beschriebenen Sachverhalt der drohenden Gefahr und der drohenden terroristischen Gefahr die Polizei einen großen Schritt hin zur Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden rückt. (A.d.V.:Die Benachrichtungpflicht findet sich allerdings in § 33 c wieder, wobei hier diese entsprechden geändert wurde, dass nach 5 Jahren endgültig von der Benachrichtigung abzusehen ist. )
(10) Bei der Erhebung von Daten nach den Absätzen 1 und 2 sind zu protokollieren
1. das zur Datenerhebung eingesetzte
Mittel,
2. der Zeitpunkt des Einsatzes,
3. Angaben, welche die Feststellung der erhobenen Daten ermöglichen,
4. die Organisationseinheiten, welche die Maßnahmen durchführen,
5. die Beteiligten der überwachten Kommunikation und
6. sofern die Überwachung mit einem Eingriff in von der betroffenen Person genutzte Informationstechnische Systeme verbunden ist, die Angaben zur Identifizierung des informationstechnischen Systems und die daran vorgenommenen, nicht nur flüchtigen Veränderungen. Die Protokolldaten dürfen nur verwendet werden für Zwecke der Unterrichtung
nach Absatz 9 oder um der betroffenen Person oder einer dazu befugten Stelle die Prüfung zu ermöglichen, ob die Maßnahmen rechtmäßig durchgeführt worden sind.
(11) Die Landesregierung unterrichtet den Landtag jährlich über die nach den
Absätzen 1 und 2 erfolgten Maßnahmen.
(12) Die Landesregierung überprüft die Wirksamkeit der Vorschrift bis zum 31.Juni 2023 und berichtet dem Landtag
über das Ergebnis der Evaluierung. § 20c tritt am 31.Dezember 2023 außer Kraft.
§ 34a
Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot
zum Schutz vor häuslicher Gewalt
(1) Die Polizei kann eine Person zur Abwehr einer von ihr ausgehenden gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer anderen Person aus einer Wohnung, in der die gefährdete Person wohnt, sowie aus deren unmittelbaren Umgebung verweisen und ihr die Rückkehr in diesen Bereich untersagen. Der räumliche Bereich, auf den sich Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot beziehen, ist nach dem Erfordernis eines wirkungsvollen Schutzes der gefährdeten Person zu bestimmen und genau zu bezeichnen. In besonders begründeten Einzelfällen können die Maßnahmen nach Satz 1 auf Wohn- und Nebenräume beschränkt werden.
(2) Der Person, die die Gefahr verursacht und gegen die sich die polizeilichen Maßnahmen nach Absatz 1 richten (betroffene Person), ist Gelegenheit zu geben, dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitzunehmen.
(3) Die Polizei hat die betroffene Person aufzufordern, eine Anschrift oder eine zustellungsbevollmächtigte Person zum Zweck von Zustellungen behördlicher oder gerichtlicher Entscheidungen, die zur Abwehr einer Gefahr im Sinne des Absatzes 1 ergehen, zu benennen.
(4) Die Polizei hat die gefährdete Person auf die Möglichkeit der Beantragung zivilrechtlichen Schutzes hinzuweisen, sie über Beratungsangebote zu informieren, ihr eine Inanspruchnahme geeigneter, für diese Aufgabe qualifizierter Beratungseinrichtungen nahe zu legen und anzubieten, durch Weitergabe ihres Namens, ihrer Anschrift und ihrer Telefonnummer einen Kontakt durch die in der polizeilichen Einsatzdokumentation näher bezeichneten Beratungseinrichtung zu ermöglichen.
(5) Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot enden außer in den Fällen des Satzes 2 mit Ablauf des zehnten Tages nach ihrer Anordnung, soweit nicht die Polizei im Einzelfall ausnahmsweise eine kürzere Geltungsdauer festlegt. Stellt die gefährdete Person während der Dauer der gemäß Satz 1 verfügten Maßnahmen einen Antrag auf zivilrechtlichen Schutz mit dem Ziel des Erlasses einer einstweiligen Anordnung, enden die Maßnahmen nach Absatz 1 mit dem Tag der gerichtlichen Entscheidung, spätestens jedoch mit Ablauf des zehnten Tages nach Ende der gemäß Satz 1 verfügten Maßnahmen. Die §§ 48, 49 des Verwaltungsverfahrensgesetzes bleiben unberührt.
(6) Das Gericht hat der Polizei die Beantragung zivilrechtlichen Schutzes sowie den Tag der gerichtlichen Entscheidung unverzüglich mitzuteilen; die §§ 18 bis 22 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz bleiben unberührt. Die Polizei hat die gefährdete und die betroffene Person unverzüglich über die Dauer der Maßnahmen nach Absatz 1 in Kenntnis zu setzen.
(7) Die Einhaltung eines Rückkehrverbotes ist mindestens einmal während seiner Geltung zu überprüfen.
§ 34b
Aufenthalts- und Kontaktverbot
Nach der Stellungnahme von Amnesty International besteht das Risiko, dass Personen durch die Maßnahmen nach §§ 34b, 34c de facto bestraft werden, bevor sie sich in einer strafrechtlich relevanten Weise verhalten haben.
Selbst FH-Prof. Gumke von der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung sieht Aufenthalts- und Kontaktverbot als nutzlos an hinsichtlich der Terrorbekämpfung, ebenso die Ingewahrsamnahme.
(1) Zur Abwehr einer Gefahr im Sinne des
§ 8, die sich auf eine Straftat von erheblicher Bedeutung bezieht, kann einer dafür
verantwortlichen Person untersagt werden,
1. sich ohne Erlaubnis der zuständigen
Polizeibehörde von ihrem Wohn- oder
Aufenthaltsort oder aus einem bestimmten Bereich zu entfernen (Aufenthaltsgebot) oder sich an bestimmten Orten aufzuhalten (Aufenthaltsverbot) oder
2. bestimmte Personen oder Personengruppen zu kontaktieren (Kontaktverbot).
(2) Maßnahmen nach Absatz 1 werden
auf Antrag der Behördenleitung oder deren Vertretung durch das Amtsgericht angeordnet, in dessen Bezirk die Polizeibe-
hörde ihren Sitz hat. Für das Verfahren
gelten die Vorschriften des Gesetzes
über das Verfahren in Familiensachen
und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. Bei
Gefahr im Verzug kann die Anordnung
durch die zuständige Behördenleiterin oder den Behördenleiter oder deren Vertretung getroffen werden. ln diesem Fall
ist die gerichtliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Soweit die Anordnung nicht binnen drei Tagen durch das
Gericht bestätigt wird, tritt sie außer Kraft.
(3) Im Antrag sind anzugeben
1. die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, mit Name und Anschrift,
2. Art, Umfang und Dauer der Maß
nahme, einschließlich
a) im Fall des Aufenthaltsgebots nach
Absatz 1 Nummer 1 einer Bezeichnung der Orte, von denen sich die
Person ohne Erlaubnis der zuständigen Polizeibehörde nicht entfernen oder im Fall des Aufenthaltsverbots nach Absatz 1 Nummer 1,
an denen sich die Person ohne Erlaubnis der zuständigen Polizeibehörde nicht aufhalten darf,
b) im Fall des Kontaktverbots nach
Absatz 1 Nummer 2 der Personen
oder Gruppe, mit denen oder mit
welcher der betroffenen Person der
Kontakt untersagt ist, soweit möglich, mit Name und Anschrift,
3. der Sachverhalt und
4. eine Begründung.
(4) Die Anordnung ergeht schriftlich. In ihr
sind anzugeben
1. die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, mit Name und Anschrift,
2. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme, einschließlich
a) im Fall der Aufenthaltsanordnung
nach Absatz 1 Nummer 1 einer Bezeichnung der Orte, von denen sich
die Person ohne Erlaubnis der zuständigen Polizeibehörde nicht entfernen oder an denen sich die Person ohne Erlaubnis der zuständigen Polizeibehörde nicht aufhalten darf,
b) im Fall des Kontaktverbots nach Absatz 1 Nummer 2 der Personen oder Gruppe, mit denen oder mit welcher der betroffenen Person der Kontakt untersagt ist, soweit möglich, mit Name und Anschrift und
3. die wesentlichen Gründe.
(5) Aufenthaltsanordnungen sowie Kontaktverbote sind auf den zur Abwehr der
Gefahr jeweils erforderlichen Umfang zu
beschränken. Sie sind auf höchstens drei
Monate zu befristen. Eine Verlängerung
um jeweils nicht mehr als drei Monate ist
möglich, soweit ihre Voraussetzungen
fortbestehen. Liegen die Voraussetzungen nicht mehr vor, ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden.
§ 34c
Elektronische Aufenthaltsüberwachung
Nach der Stellungnahme von Amnesty International stellt die Anordnung von Aufenthaltsgeboten und -verboten oder einer elektronischen Fußfessel seinen Eingriff in das Menschenrecht auf Fortbewegungsfreiheit nach Art. 2 ZP 4 EMRK, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG dar. Darüber hinaus greifen diese Maßnahmen nach Meinung von Amnesty International auch in das Recht auf den Schutz des Privatlebens nach Art. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK ein. Denn Polizeiliche Maßnahmen wie elektronische Fußfesseln, Kontaktsperren und Aufenthaltsverbote nach §§ 34b, 34c PolG-E NRW bedeuten für die betroffenen Personen, dass sie in ihrer freien Lebensgestaltung mit erheblichen Einschränkungen konfrontiert sind. Je nach Zuschnitt der
Auflagen werden zentrale Bestandteile der privaten Lebensführung (Berufsausübung, Reisen, Familienleben,
Teilhabe an politischen Aktivitäten) erschwert. Der Amnesty-Bericht
Upturned lives aus dem Jahr 2016 zur Situation in Frankreich untersucht die menschenrechtlichen Konsequenzen von solch weitgehenden Eingriffsbefugnissen. Der Bericht macht deutlich, wie Personen, gegen die kein Strafverdacht vorlag, um ihr normales Arbeits- und Privatleben
gebracht wurden.
(1) Zur Abwehr einer Gefahr im Sinne des
§ 8, die sich auf eine Straftat von erheblicher Bedeutung bezieht, kann die dafür
verantwortliche Person bei Vorliegen der
Voraussetzungen des § 8 Absatz 5 Satz
1 Nummer 1 bis 3 dazu verpflichtet werden, ein technisches Mittel, mit dem der
Aufenthaltsort dieser Person elektronisch
überwacht werden kann, ständig in betriebsbereitem Zustand am Körper bei
sich zu führen und dessen Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen, um diese
Person durch die Überwachung und die
Datenverwendung von der Begehung
dieser Straftaten abzuhalten.
(2) Soweit die Voraussetzungen des
§ 8
Absatz 5 Satz 1 Nummer 1 bis 3 nicht gegeben sind, darf die Polizei die dafür verantwortliche Person nach Absatz 1 nur verpflichten, wenn sich die Gefahr im
Sinne des § 8 auf eine Straftat gemäß
§§ 174 bis 178,182 oder
§ 238 des Strafgesetzbuchs oder auf Fälle des
§ 34a dieses Gesetzes bezieht und Erkenntnisse
vorliegen, dass die Abwehr der Gefahr
durch anderweitige Maßnahmen nach
diesem oder einem anderen Gesetz aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
3) Die Polizei verarbeitet mit Hilfe der
von der verantwortlichen Person mitgeführten technischen Mittel automatisiert
Daten über deren Aufenthaltsort sowie
über etwaige Beeinträchtigungen der Datenerhebung. Soweit es technisch möglich ist, ist sicherzustellen, dass innerhalb
der Wohnung der betroffenen Person
keine über den Umstand ihrer Anwesenheit hinausgehenden Aufenthaltsdaten
erhoben werden. Werden innerhalb der
Wohnung der betroffenen Person über
den Umstand ihrer Anwesenheit hinausgehende Aufenthaltsdaten erhoben, dürfen diese nicht verwendet werden. Entsprechendes gilt, soweit durch die Datenerhebung nach Satz 1 der Kernbereich
privater Lebensgestaltung betroffen ist.
Daten nach Satz 3 und 4 sind unverzüglich nach ihrer Kenntnisnahme zu löschen. Die Tatsache ihrer Kenntnisnahme und Löschung ist zu dokumentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle
verwendet werden. Sie ist frühestens
nach Abschluss der Datenschutzkontrolle
und spätestens nach vierundzwanzig Monaten zu löschen. Die Daten dürfen ohne
Einwilligung der betroffenen Person nur
verarbeitet werden, soweit dies erforderlich ist für die folgenden Zwecke:
1. zur Verhütung oder zur Verfolgung von
Straftaten von erheblicher Bedeutung,
2. zur Feststellung von Verstößen gegen
Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverbote nach
§ 34b ,
3. zur Verfolgung einer Straftat gemäß
§ 34d,
4. zur Abwehr einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder
Freiheit einer Person oder
5. zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des technischen Mittels.
Zur Einhaltung der Zweckbestimmung
nach Satz 9 hat die Verarbeitung der Daten automatisiert zu erfolgen. Zudem sind
die Daten gegen unbefugte Kenntnisnahme und Verarbeitung besonders zu
sichern.
(4) Die in Absatz 3 Satz 1 genannten Daten sind spätestens zwei Monate nach
Beendigung der Maßnahme zu löschen, soweit sie nicht für die in Absatz 3 Satz 9
genannten Zwecke verwendet werden.
Die Landesbeauftragte für Datenschutz NRW moniert in ihrer Stellungnahme, dass das Vorziehen der Normierung der neuen Befugnisse und Regelungen für die Polizei bedenklich ist, weil dadurch die längst überfällige Anpassung des nordrhein-westfälischen Polizeirechts an die EU-Richtlinie 680/2016 1 (JI-Richtlinie – JI-RL) Frist 06. Mai 2018, sowie die EU-Verordnung 2016/679 2 ( Datenschutz) grundverordnung - DSGVO) Frist 25. Mai 2018 unnötig verzögert wird.
(5) Jeder Abruf der Daten ist zu protokollieren. Die Protokollierung muss den landesrechtlichen Vorschriften, die
Artikel 25
der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
27. April 2016 zum Schutz natürlicher
Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen
Behörden zum Zwecke der Verhütung,
Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung
von Straftaten oder der Strafvollstreckung
sowie zum freien Datenverkehr und zur
Aufhebung des Rahmenbeschlusses
2008/977/JI des Rates (ABl. L 119 vom
4.5.2016, S. 89) umsetzen, entsprechen.
Die Protokolldaten sind spätestens nach
vierundzwanzig Monaten zu löschen.
(6) Maßnahmen nach den Absätzen 1 bis
3 werden auf Antrag der Behördenleitung
oder deren Vertretung durch das Amtsgericht angeordnet, in dessen Bezirk die Polizeibehörde ihren Sitz hat. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend.
Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung durch die zuständige Behördenleitung oder deren Vertretung getroffen werden. In diesem Fall ist die gerichtliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.
Soweit die Anordnung nicht binnen drei Tagen durch das Gericht bestätigt wird,
tritt sie außer Kraft. In dem Antrag sind
anzugeben:
1. die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, mit Name und Anschrift,
2. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme,
3. die Angabe, ob gegenüber der Person,
gegen die sich die Maßnahme richtet,
eine Aufenthaltsanordnung oder ein
Kontaktverbot besteht,
4. der Sachverhalt und
5. eine Begründung.
7) Die Anordnung ergeht schriftlich. In ihr
sind anzugeben:
1. die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, mit Name und Anschrift,
2. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme und
3. die wesentlichen Gründe.
(8) Die Anordnung ist sofort vollziehbar
und auf höchstens drei Monate zu befristen. Eine Verlängerung um jeweils nicht
mehr als drei Monate ist möglich, soweit
die Anordnungsvoraussetzungen fortbestehen. Liegen die Voraussetzungen der
Anordnung nicht mehr vor, ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden.
(9) Die Landesregierung unterrichtet den Landtag jährlich über die nach den Absätzen 1 und 2 erfolgten Maßnahmen.
(10) Die Landesregierung überprüft die
Wirksamkeit der Vorschrift bis zum
31.Juni 2023 und berichtet dem Landtag
über das Ergebnis der Evaluierung.
§ 34c
tritt am 31.Dezember 2023 außer Kraft.
§ 34d
Strafvorschrift
Prof. Arzt meint in seiner Stellungnahme, dass ein Verstoß gegen §§ 34 zukünftig
unter einem (erstmals in das Polizeigesetz eingeführten) Strafvorbehalt des § 34d PolG stehen, was im Falle eines vorherigen
Durchsetzungsgewahrsams zu einer unzulässigen Doppelbestrafung führen könnte.
Sogar die DPolG meint in ihrer Stellungnahme, dass es dem Polizeigesetz – als gefahrenabwehrendes Recht – wesensfremd ist, Strafandrohungen (Freiheitsstrafe / Geldstrafe) zu beinhalten.
Löffelmann bemerkt zu § 34d,dass im Falle von polizeilichen Anordnungen bei Gefahr im Verzug eine Strafbarkeit nur
dann eintreten solle, wenn die Anordnung auch gerichtlich bestätigt wird. Andernfalls könnten sich Be-
troffene durch Zuwiderhandlung gegen eine rechtswidrige polizeiliche Anordnung strafbar machen, so Löffelmann.
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach
§ 34b Absatz 2 Satz 1
oder einer vollziehbaren Anordnung nach § 34b Absatz 2 Satz 3 zuwiderhandelt und dadurch den Zweck der Anordnung gefährdet oder
2. einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach
§ 34c Absatz 6 Satz 1
oder einer vollziehbaren Anordnung nach § 34c Absatz 6 Satz 2 zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch die Polizei verhindert.
(2) Die Tat wird nur auf Antrag der Polizeibehörde verfolgt, welche die Maßnahme angeordnet oder beantragt hat.“
§ 35
Gewahrsam
Laut der Stellungnahme von Amnesty International stellt der polizeiliche Präventiv-Gewahrsam einen freiheitsentziehenden Eingriff in die Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 104 GG dar, eine der schärfsten denkbaren Maßnahmen eines Rechtsstaates. Ein Eingriff dieses Ausmaßes muss in besonderer Weise dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
genügen. Hier bestehen laut Amnesty International bereits ernste Zweifel daran, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der „drohenden
(terroristischen) Gefahr“ eine ausreichend konkrete Tatbestandsvoraussetzung für einen Freiheitsentzug
darstellen kann.
(1) Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn
1. das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet,
2. das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern,
3. das unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach
§ 34 durchzusetzen,
4. das unerlässlich ist, um eine Wohnungsverweisung oder ein Rückkehrverbot nach
§ 34a durchzusetzen,
5. das unerlässlich ist, um private Rechte zu schützen, und eine Festnahme und
Vorführung der Person nach den
§§ 229, 230 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches zulässig ist,
Laut der Stellungnahme von Prof Gusy betritt Nr. 6 rechtliches Neuland und enthält erhebliche verfassungsrechtliche Risiken.
6. das unerlässlich ist, um eine
drohende Gefahr nach § 8 Absatz 4 oder eine drohende terroristische Gefahr nach
§ 8 Absatz 5 abzuwehren oder
7.das unerlässlich ist, um eine Aufenthaltsanordnung oder ein Kontaktverbot nach
§ 34b oder die Anordnung einer elektronischen
Aufenthaltsüberwachung nach
§ 34c durchzusetzen.
(2) Die Polizei kann Minderjährige, die sich der Obhut der Sorgeberechtigten entzogen
haben, in Gewahrsam nehmen, um sie den Sorgeberechtigten oder dem Jugendamt
zuzuführen.
(3) Die Polizei kann eine Person, die aus dem Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Justizvollzugsanstaltaufhält, in Gewahrsam nehmen und in die
Anstalt zurückbringen.
§ 38
Dauer der Freiheitsentziehung
1) Die festgehaltene Person ist zu entlassen,
1. sobald der Grund für die Maßnahme der Polizei weggefallen ist,
2. wenn die Fortdauer der Freiheitsentziehung durch richterliche Entscheidung für unzulässig erklärt wird,
3. in jedem Falle spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen,
wenn nicht vorher die Fortdauer der Freiheitsentziehung auf Grund
dieses oder
eines anderen Gesetzes durch richterliche Entscheidung angeordnet ist.
(2) Eine Freiheitsentziehung zum Zwecke der Feststellung der Identität darf die Dauer von insgesamt zwölf Stunden nicht überschreiten.
(2) Auf Grund dieses Gesetzes gilt
für die richterliche Entscheidung eine
von Absatz 1 Nummer 3 abweichende Frist in folgenden Fällen:
1. gemäß
§ 35 Absatz 1 Nummer 2
Alternative 1 sowie Nummer 6 und
7 bei Vorliegen der Voraussetzungen des
§ 8 Absatz 5 Satz 1 Nummer 1 bis 3 bis zu einem Monat,
2. gemäß
§ 35 Absatz 1 Nummer 3,
wenn eine Gefahr für Leib, Leben
oder Freiheit einer Person besteht, bis zum Ablauf der nach
§
34 angeordneten Maßnahme, maximal jedoch bis zu sieben Tagen,
3. gemäß § 35 Absatz 1 Nummer 4
bis zum Ablauf der nach
§ 34a Absatz 5 angeordneten Maßnahme,
maximal jedoch bis zu zehn Tagen,
4. gemäß § 35 Absatz 1 Nummer 6 bei gewerbs- oder bandenmäßiger Begehung bis zu sieben Tagen,
Nummer 5. ist das Lex Hambacher Forst, laut der Stellungnahme von Professor Gusy ist sie mit dem GG in der bisherigen verfassungsgerichtlichen Auslegung unvereinbar.
Laut der Stellungnahme von Amnesty International ist ein Festhalten zu „Strafzwecken“ unzulässig. Verweigert jemand die Mitwirkung an der Identitätsfeststellung, so kann gegen ihn wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 111 Abs. 1 OWiG eine Geldbuße verhängt werden.
5. zum Zwecke der Feststellung der Identität bis zu insgesamt zwölf
Stunden, wenn nicht vorher die Fortdauer der Freiheitsentziehung auf Grund dieses oder eines anderen Gesetzes durch richterliche
Entscheidung angeordnet wurde. Sofern Tatsachen die Annahme begründen, dass die Identitätsfeststellung innerhalb der Frist
nach Satz 1 vorsätzlich verhindert worden ist, genügt es, wenn die richterliche Entscheidung über die
Fortdauer des Gewahrsams zum Zwecke der Identitätsfeststellung spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen herbeigeführt wird. In diesem Fall darf die Freiheitsentziehung die in Nummer 2 genannte Frist nicht überschreiten.
§ 58
Begriffsbestimmungen,
zugelassene Waffen
(1) Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen.
(2) Körperliche Gewalt ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen.
(3) Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind insbesondere Fesseln, Wasserwerfer,
technische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde, Dienstfahrzeuge, Reiz- und Betäubungsstoffe sowie zum Sprengen bestimmte explosionsfähige Stoffe (Sprengmittel).
Mit Distanzelektroimpulsgeräte sind Taser gemeint, die als nicht tödlich gelten. Aus Sicht von Amnesty International wird die Gefährlichkeit des Einsatzmittels Taser regelmäßig
unterschätzt. Trotz der Einordnung als „nicht tödliche“ Waffe ist ausreichend bekannt, dass der Einsatz eines
Tasers schwere gesundheitliche Schäden bis hin zum Tod verursachen kann. In diesem Zusammenhang hat
Amnesty zwischen 2001 und 2017 insgesamt 802 Todesfälle in den USA dokumentiert, zu denen es beim
Einsatz des Tasers kam. Die meisten Opfer waren unbewaffnet und schienen zum Zeitpunkt des Taser-
Einsatzes keine ernste oder gar tödliche Bedrohung darzustellen.
Besonders für gefährdete Gruppen wie Menschen mit Herzerkrankungen, Menschen mit Erkrankungen
des Herz-Kreislauf-Systems und Menschen mit Alkohol- oder Drogenintoxikation kann der Einsatz eines
Tasers laut der Stellungnahme von Amnesty International verheerende Folgen auf die körperliche Unversehrtheit bis hin zum Tod haben.
(4) Als Waffen sind Schlagstock,
und Distanzelektroimpulsgeräte sowie als Schusswaffen
Pistole, Revolver, Gewehr und Maschinenpistole
zugelassen.
5) Wird die Bundespolizei im Lande Nordrhein-Westfalen zur Unterstützung der Polizei in den Fällen des Artikels 35 Abs. 2
Satz 1 oder des Artikels 91 Abs. 1 des Grundgesetzes eingesetzt, so sind für die Bundespolizei auch Maschinengewehre
und Handgranaten zugelassen (besondere Waffen). Die besonderen Waffen dürfen nur nach den Vorschriften dieses Gesetzes
eingesetzt werden.
Quellen