Kern des neuen Polizeigesetzes ist die Einführung von zwei neuen Rechtsbegriffen: die „drohende Gefahr“ und die „drohende terroristische Gefahr“.
Drohende Gefahr
Bislang war für das Tätigwerden der Polizei eine „konkrete Gefahr“ erforderlich, also eine konkrete Situation, in der eine Rechtsverletzung hinreichend wahrscheinlich ist. Auf der Grundlage des geplanten Gesetzes soll stattdessen – so die Gesetzesbegründung – für polizeiliche Maßnahmen nur noch erforderlich sein, dass „im Einzelfall hinsichtlich einer Person bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person innerhalb eines absehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wird.“ Was kompliziert klingt, bedeutet eigentlich folgendes: Ist bislang das Vorliegen einer Gefahr erforderlich, reicht in Zukunft die Gefahr einer Gefahr.
Auf der Grundlage des konturlosen, entgrenzten Begriffes der „drohenden Gefahr“ darf – nach dem Gesetzentwurf der Landesregierung – die Polizei in Zukunft u.a.
- Personen inhaftieren,
- Menschen mittels Aufenthaltsverboten und -geboten befehlen, einen Ort nicht zu verlassen oder nicht zu betreten,
- Personen verbieten, andere Personen zu kontaktieren und
- den Aufenthalt einer Person überwachen.
Die Unbestimmtheit des Gefahrenbegriffes hat zur Folge, dass die Polizei zukünftig in einem Bereich agieren darf, der bislang den Geheimdiensten vorbehalten war. Ein Bereich, in dem der Eintritt einer Rechtsverletzung bloße Spekulation ist. Ein Bereich, der so weit reicht, dass jeder Mensch in ihn hineingeraten kann, der nicht Teil des Mainstreams ist – seien es politisch Aktive, Fußballfans, Gewerkschafter*innen, Wohnungslose, Mitglieder zivilgesellschaftlicher Initiativen oder Menschen mit anderem Glauben oder anderer Hautfarbe.
Drohende terroristische Gefahr
Nicht viel unproblematischer ist der Begriff der drohenden terroristischen Gefahr. Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung werden zentrale rechtsstaatliche Grundsätze schlichtweg aufgegeben. Insbesondere darf die Polizei nach dem Willen der Landesregierung Personen bis zu einen Monat lang inhaftieren – ohne dass die Begehung einer Straftat überhaupt wahrscheinlich erscheint. Das lässt die Bedeutung des Grundrechts der Freiheit der Person völlig außer Acht.
Besonders gefährlich ist die Unbestimmtheit der Begriffsdefinition. Eine drohende terroristische Gefahr soll jede drohende Gefahr sein, die geeignet und bestimmt ist,
- die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, oder
- eine Behörde, eine nationale oder internationale Organisation oder ein Organ der Meinungsäußerung rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder
- die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates, eines Landes, einer nationalen oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen.
Liegt nach der Ansicht der Polizei auch nur eines dieser Merkmale vor, kann sie von ihren weitreichenden Eingriffsbefugnissen Gebrauch machen – neben der Ingewahrsamnahme kann die Polizei elektronische Geräte überwachen, das Tragen einer Fußfessel anordnen, Aufenthalts- und Kontaktverbote aussprechen sowie die Residenzpflicht befehlen. Es braucht nicht viel Fantasie, dass diese Normen über kurz oder lang eingesetzt werden können, um nicht nur klassischen Terrorismus, sondern auch missliebige Formen des zivilen Ungehorsams und sonstigen politischen Aktivismus, organisiert oder individuell, zu unterdrücken.